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Wenn
zwei Böcke plötzlich streiten
von Marion Reich
Im
Rahmen der Beratungstätigkeit werde ich immer wieder mit ähnlich
lautenden Anfragen konfrontiert: Man hat zwei etwa gleich alte Böcke
zu Hause und die beiden haben sich einige Monate lang bestens verstanden,
bis sie im Alter von einem halben bis drei Viertel Jahr plötzlich
zu kämpfen begonnen haben. Was ist jetzt zu tun?
Zunächst
muss man sich der Tatsache bewusst sein, dass Meerschweinchen-Böcke
im Laufe ihres Heranwachsens mehrere so genannte Rappelphasen
durchlaufen. Die Rappelphase, die häufig am heftigsten ausfällt,
machen sie mit etwa 6 bis 9 Monaten durch. Während dieser
Rappelphasen klären die heranwachsenden Böcke die Rangordnung
innerhalb der Gruppe.
Es ist daher sehr wichtig, dass der Halter nicht bei jedem kleinen
Streit eingreift und die Tiere sofort trennt! Auseinandersetzungen
bei Meerschweinchen sind im Allgemeinen recht lautstark - auch
wenn sie an sich harmlos sind - und es kann auch durchaus dazu
kommen, dass einmal Fellbüschel fliegen. Werden die Böcke
bei jeder kleinsten Auseinandersetzung getrennt, haben sie nie
die Gelegenheit, sich die Rangordnung auszumachen und der Streit
geht so lange weiter, bis die Fronten geklärt sind - oder
so verhärtet, dass ein Zusammensetzen der Tiere nicht mehr
möglich ist.
Die
wichtigste Grundregel während der Rappelphasen lautet daher,
dass den Böcken möglichst viel Platz zur Verfügung
gestellt werden sollte und dass man die Herren zwar gut im Auge
behalten, aber zunächst mehr eine Beobachterrolle einnehmen
sollte. Eingegriffen wird nur dann, wenn es tatsächlich zu
echten Kämpfen kommt, bei denen sich die Tiere ineinander verbeißen,
oder sich die Tiere Bisswunden zufügen (wie man Streithähne
am besten trennt, lesen Sie hier).
Man muss in solchen Situationen allerdings auch immer darauf achten,
dass es zu keinem Mobbing innerhalb der Gruppe kommt und dass
alle Gruppenmitglieder ungehinderten Zugang zu Futter und Wasser
haben und auch sonst nicht ständig in die Enge gedrängt
werden.
Sollte
es notwendig sein, Böcke während einer Rappelphase zu
trennen, weil sie sich verletzen und nicht auf eine Rangordnung
einigen können, ist es meistens eine Trennung auf Dauer.
Nachdem auch Böcke niemals in "Einzelhaft" sitzen
sollten, ist eine mögliche Lösung, beide Böcke
kastrieren zu lassen und nach der 6-wöchigen Kastrationsquarantäne
(in dieser Zeit können die Böcke noch zeugungsfähig
sein) jedem ein Weibchen dazuzugesellen.
Wie
weit eine Kastration eines oder beider Böcke Abhilfe in Streitsituationen
schaffen kann, lässt sich nicht generell sagen. Wenn die
Auseinandersetzungen einmal so weit eskaliert sind, dass die beiden
Böcke einander überhaupt nicht mehr riechen können,
wird eine Kastration im Allgemeinen zu keiner Befriedung mehr
führen.
Anders kann es aussehen, wenn die Kastration zu einem früheren
Zeitpunkt erfolgt, wenn die Grenzen noch nicht verhärtet
sind. Dann kann eine Kastration beider Böcke positive Folgen
haben.
Positive Erfahrungsberichte in Hinblick auf die Bockhaltung gibt
es mit Frühkastraten. Sie fügen sich normalerweise relativ
problemlos in Gruppen ein und es kommt bei ihnen auch nicht zu
so ausgeprägten Rappelphasen wie bei nicht kastrierten Böcken.
Größere Chancen auf eine harmonische Bockgruppe hat
man auch, wenn die beiden Böcke nicht ungefähr gleich
alt sind, sondern zumindest einige Monate Altersunterschied zwischen
ihnen besteht. Normalerweise ordnet sich der jüngere Bock,
sofern er zum Zeitpunkt der Vergesellschaftung noch möglichst
jung ist, seinem älteren Partner problemloser unter, als
wenn beide Böcke etwa gleichaltrig sind.
Stirbt
aus einer Zweiergruppe ein Männchen, ist es wichtig, ihm
einen möglichst jungen Bock dazuzugesellen und keinen älteren,
heranwachsenden oder erwachsenen Bock. Die Vergesellschaftung
von erwachsenen Böcken funktioniert nur dann, wenn beide
Böcke vom Charakter her dazu geeignet sind und wenn beide
während des Heranwachsens Kontakt mit Böcken verschiedensten
Alters, unbedingt auch mit erwachsenen Böcken hatten. Im
Gegensatz zu Weibchen müssen Böcke während des
Heranwachsens die sozialen Spielregeln innerhalb der Gruppe erst
lernen, insbesondere im Umgang mit Artgenossen des gleichen Geschlechts.
Und sie müssen es auch lernen zu akzeptieren, sich einem
anderen Bock unterzuordnen. Im Gegensatz zu Weibchen ist es bei
der wilden Stammform unserer Hausmeerschweinchen nicht üblich,
dass mehr als ein Bock innerhalb einer Gruppe lebt. Dass mehrere
Böcke der Hausmeerschweinchen zusammen gehalten werden können,
ist eine Folge der Domestikation und der daraus bedingten größeren
sozialen Verträglichkeit. Allerdings ist es auch den Böcken
der Hausmeerschweinchen nicht in die Wiege gelegt, sondern ein
Lernprozess in den ersten Lebenswochen und -monaten. Wachsen junge
Böcke so auf, dass sie die sozialen Spielregeln gut lernen
können, sind sie auch im späteren Leben problemloser
im Zusammenleben mit anderen Böcken.
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